Ungarn: Skandal um Kindesmissbrauch | MDR.DE


Missbrauchsopfer: “Schämen Sie sich!”

Die Begnadigung erfolgte bereits im April vergangenen Jahres, anlässlich des Papstbesuches in Budapest. Damals hatte Novák an einem Tag 22 Personen ihre Strafen erlassen – so vielen wie seit dem Systemwechsel 1989/90 nicht mehr, wie das Nachrichtenmagazin hvg berichtet. Der Straferlass erfolgte anonym, bekannt wurde zu dem Zeitpunkt nur, dass auch ein rechtsextremer Terrorist unter den Begnadigten war. Erst Anfang Februar hat das unabhängige Nachrichtenportal 444.hu aufgedeckt, dass auch K. begnadigt wurde. Warum Novák, die sich immer als Fürsprecherin von Familien und Kindern inszeniert hatte, ausgerechnet K. für eine Begnadigung auswählte, ist unbekannt.

Seither schlägt die Empörung in Ungarn hohe Wellen: “Schämen Sie sich!”, sagt Julian, eines der Opfer des Heimleiters, an die Adresse der Präsidentin gerichtet in der Nachrichtensendung RTL Híradó. Und weiter: “Jemand, der viele Jahre lang an einer Verbrechensserie mitgewirkt hat, die dem Leben zahlreicher Menschen irreparablen Schaden zugefügt hat, ist der Gnade nicht würdig.”

Fachleute sind bestürzt

Rechtsanwalt András Gál, der die Missbrauchsopfer von Bicske im Prozess gegen den Heimleiter vertrat, ist fassungslos: “Wenn so etwas passieren kann, dann ist der ein Jahrzehnt dauernde Kampf der Opfer und ihrer Rechtsbeistände vollkommen bedeutungslos geworden”, sagte er dem Nachrichtenportal Telex. Er kritisierte auch den Straferlass für den Rechtsterroristen und sagte zur Begnadigung von K: “…das ist ein weiterer riesiger Rückschritt. Es scheint so, als gebe es von nun an keine Grenzen mehr.”

Auch der Verband der ungarischen Sozialarbeiter (SzMME) hat mit “Bestürzung und großer Empörung” auf die Nachricht reagiert. In einer Stellungnahme, der sich unter anderem der Lehrerverband und der Beamtenbund angeschlossen haben, kritisiert der Verband außerdem scharf, dass auch das vom Gericht verhängte temporäre Berufsverbot mit aufgehoben wurde und K. somit “weiterhin im Kinderschutz tätig sein kann. Dies ist völlig inakzeptabel und unvereinbar mit allen geschriebenen und ungeschriebenen Prinzipien, Werten und Regeln des Sozial- und Kinderschutzberufs!”

Die Präsidentin äußert sich, erklärt aber nichts

Einige Tage, nachdem der Fall öffentlich geworden war, hat auch die Präsidentin selbst reagiert: “Während meiner Präsidentschaft gab es keine Begnadigung von Pädokriminellen* – und es wird auch keine geben”, sagte sie auf die Frage des Fernsehsenders ATV während einer Pressekonferenz. Das stimmt: Endre K. hat selbst keinen Kindesmissbrauch begangen, er wurde wegen Beihilfe verurteilt. Weiter sagte Novák: “Ich verabscheue sexuellen Missbrauch von Kindern*, ich halte ihn für das ekelhafteste, schwerste Verbrechen.”

Eine Erklärung, warum sie sich entschieden hat, ausgerechnet K. zu begnadigen, hat die Präsidentin trotz mehrfacher Nachfragen nicht abgegeben. Sie zog sich darauf zurück, dass diese Entscheidungen von Rechts wegen nicht öffentlich begründet werden müssen. Außerdem sei jede Begnadigungs-Entscheidung vom Wesen her spaltend. Stattdessen sagte Novák: “Ich habe Mitgefühl mit allen Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch*”, und bot sich als Partnerin an, wenn es darum gehe, “effektiver gegen Pädokriminalität* vorzugehen”. Die Rücktrittsforderungen gegen sie hält Novák für eine Kampagne.



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