ForuM-Studie – EKD-Synodenpräses Heinrich: Dunkelfeldstudie zu Missbrauch unbedingt nötig | Sonntagsblatt


Uns ist allen klar, gerade uns Betroffenen von sex. Gewalt, dass die Missbrauchskrise mit der Veröffentlichung der ForuM-Studie nicht vorbei ist. Weder für uns persönlich noch für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern (ELKB).

Ganz konkret heisst das für mich – und ich weiss für viele hier lesende Betroffene auch:

Der Diakon, der mich missbraucht hat, und diejenigen, die ihm das ermöglicht haben (uns Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren ihm zugeführt haben), sind dafür bis heute nie zur Verantwortung gezogen worden.
Die ELKB und die ihr zugeordnete Diakonie, hat gegen meinen Täter, Ermöglicher und Vertuscher gar nicht ermittelt. 2015 habe ich meinen Fall der ELKB angezeigt und anerkannt bekommen. 2018 habe ich nachgefragt, wie es denn mit meinem Fall weiterging. Ist der Täterdiakon nach seinem Fortgang aus meinem Kinderheim in ein anderes Heim gekommen und hat dort weiter vergewaltigen können? Antwort der ELKB, man habe die Akte aus dem Hannoverischen Landeskirchenamt angefordert (von dort kam der Täter als “Sendbruder)”, aber leider bis dahin (2018) keine Antwort erhalten. Soviel zum Föderalismus in der EKD. Eine Landeskirche antwortet der anderen nicht.
Die Redakteurin, die mich für den Bayer. Rundfunk interviewt hat, recherchierte innerhalb einer Woche, dass mein Täter in weiteren Heimen (Plural!) als Heimleiter eingesetzt war. Der Gedanke ist einfach unerträglich.
Weiter: in o.g. Interview habe ich gesagt, dass ich die Schreie der anderen Kinder gehört habe und ich nicht der einzige Betroffene war.

Es ist für uns als Betroffene unerträglich, die Diskrepanz zwischen dem Auftreten kirchlicher Akteure in der Öffentlichkeit und ihrem Handeln uns gegenüber auszuhalten. Wir geoutete Betroffene begleiten immer auch andere Betroffene. Wir tun das in der Regel nebenbei, unentgeltlich und manchmal bis an die Grenze unserer eigenen Erschöpfung. Aufgrund meines Fernsehbeitrages haben sich andere Betroffene bei mir gemeldet. Der erste davon war mit mir in derselben Gruppe im Heim. Dessen Kontaktdaten habe ich der ELKB mitgeteilt. Rückmeldung aus München, ob ich denn eine datenschutzrechtliche Einverständniserklärung habe, damit ich dessen Daten entsprechend weitergeben darf? Sieht so Aufklärung aus?

Und so sehen wir Betroffene permanent, wie die ELKB Tag für Tag routiniert Aufklärung unmöglich macht. Selbstverständlich habe ich sein Einverständnis. Aber doch nicht wir Betroffene müssen aufklären und aufarbeiten, dass muss die Kirche schon selbst machen. Ich erwartete, dass sich jemand Verantwortlicher bei ihm meldet. Aber nichts dergleichen, kein proaktives Zugehen der ELKB auf Betroffene.

Und so sehen wir permanent, wie die ELKB Tag für Tag routiniert das Leben schwermacht: Betroffene gar nicht antwortet oder sie ewig warten läßt, sie gegen bürokratische Betonwände laufen läßt, sie mit Floskeln abspeist, die manchmal vordergründig und anfänglich freundlich sind, um sie im nächsten Moment abzuweisen, einzuschüchtern und zu retraumatisieren. Wenn es vereinzelt anders läuft, ist das – und das muss ich ganz deutlich sagen – die Ausnahme.

Missbrauchskrise ist ein Clusterfuck

Die kirchliche Leitung relativiert und retraumatisiert weiter, während sie zugleich der Öffentlichkeit und dem Kirchenvolk erzählt, dass sich doch vieles inzwischen gebessert habe und dass man jetzt ganz intensiv Prävention betreibe und schonungslos aufkläre – was die Synodalen und die Öffentlichkeit nur allzu gerne hören und glauben wollen. Und wenn sich über einem hohen kirchlichen Funktionsträger doch einmal die dunklen Wolken öffentlicher Empörung zusammenbrauen, dann braucht er nur einmal vor die Kamera treten und “reinen Gewissens” seinen Rücktritt erklären – und die trübe Stimmung verdunstet unter den Sonnenstrahlen allgemeinen Wohlgefallens.
Um es in einem Wort zu sagen, diese sogenannte Missbrauchskrise ist ein einziger Clusterfuck: eine heillos verfahrene Situation, in der Illusion auf Inkompetenz trifft.

Den Ernst der Lage begriffen?

Wir haben ein massives Problem und das ist die Illusion von der Kirche als heiler Welt. Es klingt absurd, aber auch in einer Zeit, in der das Wort “Kirche” fast schon synonym mit dem Wort “Missbrauch” ist, halten viele noch an Illusionen über die Kirche fest. Das sind Illusionen, die wir als Betroffene auch hatten.

Viele von uns Betroffenen glaubten an die Kirche, auch nach dem Missbrauch noch. Ja, dieser eine Diakon in diesem einzelnen Heim, dieser einzelne Pfarrer, der offiziell die Heimaufsicht innehatte und an dem ich mich hilfesuchend wandte und der mich daraufhin brutal verprügelte, diese einzelne “Tante” die mich meinem Täter zuführte und mich danach abwusch mit den Worten: ” O Gott, Klaus, was hast du verbrochen, dass der dich so hergerichtet hat?” (Opfer-Täter-Umkehr), aber wenn die ELKB das erfährt, wenn ich das nach München melde, dann werden die sich kümmern, ermitteln, Gerechtigkeit herstellen… Und auch wenn es in meinem Fall nicht geklappt hat, so können wir doch der Kirche grundsätzlich vertrauen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis genug Verantwortliche den Ernst der Lage begriffen haben. Dann werden sie handeln und dann wird am Ende doch noch alles gut. Sie werden das doch nicht so weiterlaufen lassen, bestimmt nicht…

Diese Hoffnung weicht dann einer stufenweisen und extrem schmerzhaften Desillusionierung. Zuerst mag man nicht glauben, was geschieht, nämlich dass sie gar nichts tun oder dass sie sogar lügen, Betroffene einschüchtern oder verleumden, während sie gleichzeitig vor Kameras und in Mikrofone sagen, dass sie zuerst an die Betroffenen denken und dass sie an ihrer Seite stünden. Mir wird mittlerweile schlecht, wenn ich solche Sätze höre. Ich ertrage es nicht mehr.

Es wird immer noch schlimmer

Immer wieder habe ich gedacht: Jetzt habe ich alles gesehen. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Aber es kam dann immer noch schlimmer. Es gibt noch so viel, was noch nicht einmal in der öffentlichen Diskussion über Missbrauch in der ELKB angekommen ist. Ich möchte an dieser Stelle nur auf folgende Problemfelder hinweisen
Gerne wird in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass neben der Anerkennungsleistung auch Therapie- und Kurkosten seitens der ELKB übernommen werden. Auch ich bekam die Zusage der Kostenübernahme von zwanzig Therapiestunden. Ich solle in Vorleistung gehen und die Rechnungen der Therapeutin einreichen. Nachdem ich die Rechnung eingereicht habe, bekomme ich erst lange Zeit keine Antwort, dann dass ich doch schon Anerkennungsleistung im Jahre 2015 bekommen hätte, dann dass meine Rechnung erst nochmal von der Unabhängigen Anerkennungskommission geprüft werden müsse und schließlich, dass ich “mit etwas Glück” mein Geld doch bekommen werde. Ich mag nicht feilschen und betteln müssen. Besser wir erwarten nichts von der ELKB.

Wenn der Staat es schon versäumt hat, die ForuM-Studie zu finanzieren, um damit wirklich unabhängige Aufklärung zu ermöglichen, so sollte er jetzt doch die Entschädigungszahlungen der Kirche überwachen, die sich an staatl. Gerichtsurteilen (Köln – 300000€) orientieren. Auf das vorbildgebende Verhalten des (mit der EKD verglichen) sehr kleinen Deutschen Schwimmverbandes (DSV) ggü. Jan Hempel (600000€) mag ich hinweisen. Fairness gilt aber (nur?) für Sportler, nicht in der Kirche, die spricht von “Nächstenliebe”…

Schlimmer kann es nicht mehr kommen?
Seit 2022 wird geprüft, ob gegen mich ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll. Leider konfrontiert mich die ELKB dabei mit dem Slang und der Pornosprache meiner Täter. Nun habe ich es schwarz auf weiß unter dem Briefkopf des Landeskirchenamtes, dass “blasen” und “Bläser” offenbar angemessene Kirchensprache ist und somit auch hier in der SZ verwendet werden können. Genau so hat mein Täter gesprochen.

Missbrauch an Missbrauchte
Alles ist derart verfahren, dass die ELKB mit mir nur noch über meinen Anwalt kommunizieren will, “was auch in Ihrem Interesse sein dürfte”. Welch eine Herablassung. Abgesehen davon, dass mein Anwalt bis heute keine Antwort bekommen hat, wollen Sie, als Vertreterin jener “Organisation”, in der mein “Täter, die Ermöglicher und Vertuscher” tätig waren, mir sagen, was gut für mich ist?
Aus dem Penthouse des Landeskirchenamtes tönt heraus: “In Anbetracht der nicht angemessenen Erwiderungen Ihrerseits… ist für mich die Angelegenheit damit erledigt.” Gleich eine doppelte Herablassung: noch immer will die Kirche die Sprache regeln und damit Deutungshoheit bewahren. Sie, Vertreter jener Organisation, in der mein Täter, die Ermöglicher und Vertuscher tätig waren, wollen mir sagen, wann es genug ist. Satis est, Basta. Inhaltlich ging es um die einfache Frage, ob die Geschäftsordnung der Unabhängigen Anerkennungskommission der ELKB eine (Selbst)Verpflichtung oder eine Option der ELKB ist. Oder anders ausgedrückt: kann ich der ELKB weitere Betroffene melden ohne mich dabei wie die “Tante” fühlen zu müssen, die mich meinem Täter zugeführt hat?
Wenn Betroffene mit Entmächtgungs- und Ohnmachtserfahrungen verbunden sind, dann ist Aufarbeitung gründlich gescheitert.

Das ist die bittere Wahrheit: Der Kirche fehlt, aller Betroffenheitslyrik und Aufarbeitungsrhetorik, allen Gutachten und Studien zum Trotz, weiterhin die elementarsten Grundlagen, um Missbrauch überhaupt auch nur als solchen zu begreifen.

Das ist die bitterste Lektion, die ich als Betroffener lernen musste – und fürchte, dass ich damit alleine bin.

Das ist Teil der Missbrauchskrise:
Die Illusion von der guten und vertrauenswürdigen Kirche besteht weiter. Trotz Missbrauchskrise oder gerade deswegen. So wie die meisten zuerst nicht wahrhaben wollten, dass evang. Pfarrer und Diakone Kinder missbrauchen und dass die ELKB solche Pfarrer und Diakone weiter einsetzt, wollen sie jetzt nicht wahrhaben, dass das nicht einfach mit der Zeit und ein paar Euros wieder weg geht.
Wo immer in der Kirche über Missbrauch gesprochen wird, gibt es einen grossen Hunger nach hoffnungsvollen Worten. Mutmachendes wollen die Leute in der Kirche hören, auch und gerade von uns Betroffenen. Aber es genügt als Missbrauchsopfer in der Kirche Gerechtigkeit einzufordern, und man wird schnell von jeder Illusion über die Kirche befreit. Und das mag vielleicht paradox klingen, aber: Das ist sehr befreiend.

Wir, die Betroffenen, für uns alle gilt: Wer das überlebt hat, was wir überlebt haben, dem macht diese Kirche nichts mehr vor. Wir wissen, was wir gesehen und gehört haben. Wir sehen, dass der Kaiser nackt ist, auch wenn andere noch seine schicken neuen Kleider loben.

Dabei hätten wir schon lange alle frei von diesen Illusionen sein können. Das Wissen wäre dagewesen. Es gab die warnenden Stimmen, aber sie waren zu wenige und sind über die Jahre marginalisiert worden, während viel zu viele viel zu lange viel zu still waren!

Viele von uns konnten uns immerhin auf staatliche Strukturen und Hilfesysteme und auf eine unabhängige Presse verlassen, als wir begonnen haben zu sprechen.

Wir stehen erst am Anfang

Es hat etwas prophetisches, dass ausgerechnet die Menschen, die die kirchliche Willkür auf die grausamste Weise erfahren haben, die ersten sind, die keine Angst mehr haben. Keine Angst, zu sagen, was war und was ist. Wir wissen, was wir gesehen und erlebt haben. Uns kann man nichts mehr vorgaukeln.

Ausgerechnet die ohnmächtigsten Menschen in dieser Kirche erweisen ihr den grössten Dienst, weil sie den kirchlichen Funktionsträgern und Gläubigen die entscheidende Lektion in Erinnerung rufen, nämlich die Botschaft von der gottgeschenkten Würde eines jeden einzelnen Menschen.

Klaus Spyra, Pfr.i.R.
Schweinfurt



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